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Samstag, 14. Februar 2015

Roman | Der Trafikant von Robert Seethaler


Österreich 1937. Der 17 jährige Franz Huchel verlässt sein Heimatdorf in Oberösterreich Richtung Wien um dort in einer Trafik das Rauch- und Zeitungsgeschäft zu lernen. In Wien lernt Franz seine erste unglückliche Liebe und den berühmten Siegfried Freud kennen. Und während in Franz versucht mit seinem stürmischen Innenleben fertig und sein Leben zu leben, beginnen weltpoltische Ereignisse die ganz Europa für immer verändern werden.


Roman. Kein & Aber, Zürich 2012



Diese Buch musst ich schon allein wegen dem Titel lesen. Weil ich meine Trafiken vermisse, obwohl ich schon seit einer Weile nicht mehr rauche. Die Trafik ist eine Instition, in Wort und Ort etwas ur-österreichisches.
Und auch wenn die Trafik keine sentimentalen Gefühle in einem hervorruft (sondern vielleicht eher Stirnrunzeln), so lohnt sich das Lesen des kleinen Büchleins durchaus aus.
Robert Seethaler beschreibt hier das Erwachsenwerden eines jungen Mannes in einer Zeit, die mit größeren Problemen beschäftigt ist. Und gerade darin liegt der Wert dieses Romans - indem er ein Schlaglicht auf ein scheinbar kleines Schicksal wirft, wie es zigtausende gab. Viele Namen und Schicksale sind vergessen, viele Grausamkeiten unter Nachbarn und auch Mut und Stirn bieten der Kleinen gegen die Großen. Franz ist naiv, gutgläubig und stolpert gerade seine ersten eigenständigen Schritte.
Der Autor verbindet ein Einzelschicksal mit dem Weltgeschehen durch die Freundschaft zwischen Franz und Sigmund Freud, der kurz davor ist Wien verlassen zu müssen. Leider ist diese Verbindung, wie auch die Freundschaft zu dem Trafikanten Otto Trsnjek die Schwachstelle des Romans. Während die innerne Aufwühlungen von Franz und auch seine unglückliche Liebe zur schönen und herzlosen Böhmin mit der Zahnlücke durchaus nachfühlbar sind, so fallen seine "Männerfreundschaften" seltsam flach. Mir wurde nicht klar warum Franz unbedingt mit Sigmund Freud befreundet sein will, außer das dieser Kunstgriff eine Brücke zwischen Franz und Welt schlägt und daher nur für den Leser oder die Botschaft wichtig ist. Auch zu dem Trafikanten Otto Trsnjek will sich bei mir als Leserin keine echte Verbindung aufbauen, bleibt er doch fast bis zu letzt eine Randfigur. Aber vielleicht hilft einem auch diesere innere Abstand vor den vielen trauigen Verlusten in diesem Buch.











Montag, 28. April 2014

Cold Comfort Farm von Stella Gibbons


“The education bestowed on Flora Poste by her parents had been expensive, athletic and prolonged; and when they died within a few weeks of one another during the annual epidemic of the influenza or Spanish Plague which occurred in her twentieth year, she was discovered to possess every art and grace save that of earning her own living.” 

Als die äußerst vernünftige und ordnungsliebende Flora mit 19 Jahren plötzlich zur Vollwaise wird, entscheidet sie in nächster Zeit einmal einen von ihren vielen Verwandten auf der Tasche zu liegen. Ihre Wahl fällt auf Cousine Judith, die mit ihrem Brief voll geheimnisvoller Andeutungen über angetanes Unrecht Floras Interesse weckt.

“Well,' said Mrs Smiling, 'it sounds an appalling place, but in a different way from all the others. I mean, it does sound interesting and appalling, while the others just sound appalling.” 

Sie macht sich also auf den Weg ins tiefste Sussex zur Cold Comfort Farm, wo sie auf die leidende Judith und ihren Mann, den Feuer und Verdammnis predigende Amos, deren Söhne, den lüsternen Seth und den verzweifelten Reuben und vor allem auf Tante Ada Doom, die seit 20 Jahren ihr Zimmer nicht mehr verlassen hat und mit eisernem Willen das Schicksal aller auf Cold Comfort Farm regiert, trifft.
Aber das ist genau die Art Umgebung die Flora aufblühen lässt, denn nichts liebt sie mehr als Dinge und Menschen zu ihrem Besten zur organisieren.

“You have the most revolting Florence Nightingale complex,' said Mrs. Smiling.
It is not that at all, and well you know it. On the whole, I dislike my fellow beings; I find them so difficult to understand. But I have a tidy mind and untidy lives irritate me. Also, they are uncivilized.”[Flora]


Pinguin Classics/Gestaltung Roz Chast


"Cold Comfort Farm" ist ein wahnsinnig humorvolles Buch.  Und obwohl es erstmals 1932 veröffentlicht wurde und als eindeutige Satire zu den in dieser Zeit sehr beliebten verhängnisvollen und dramatischen Romanzen im ländlichen Raum alà D. H. Lawrence oder Thomas Hardy zu verstehen ist, so ist es doch nicht zwingend einfach ein Kind seiner Zeit. Man kann das Buch durchaus auch als zeitgenössische Person im deutschsprachigen Raum des 21. Jahrhunderts lesen und sich köstlich amüsieren. Es ist einfach wunderbar wie Gibbons diese geradlinige Flora in diese von unausgesprochenen Vergangenheiten und anderen Wirrnissen geprägte Welt setzt und sie dort Ordnung schaffen lässt - einfach mit etwas Realität und "common sense". Wir alle haben sich schon Bücher gelesen, wo man die Protagonisten anbrüllen möchte, dass sie doch einfach einmal den Mund aufmachen oder einfach nachrfragen oder einfach wie eine normal Person agieren sollen. Etwas Geheimnis und Mysterium brauchen wir alle, aber manche Bücher überspannen den Bogen und dann wird alles zu künstlich und aufgesetzt. Das passiert in jedem Genre. Und dann wünscht man sich eine Flora Poste, die einmal gründlich durchfegt. Das Buch ist trotz seines Alters wirklich erfrischend und es gibt genug Szenen, die an die eine oder andere eigene Erfahrungswelt erinnern.
Wie so oft weiß ich natürlich nicht, wie es um die Qualität der deutschen Überetzung bestellt ist, aber wenn möglich soll man sich immer trauen, Bücher in ihrer Originalfassung zu lesen. Das macht oft mehr Freude als eingebildete Schwierigkeiten... Aber alles in allem möchte ich hier eine kleine Fackel für "Cold Comfort Farm" in den Lesewind halten - wirklich einer der leichtfüssigen Klassiker.



Cold Comfort Farm Trailer (1995)







Sonntag, 3. November 2013

"Der Report der Magd" von Margaret Atwood



'By telling you anything at all I'm at least believing in you, I believe you're there, I believe you into being. Because I'm telling you this story I will your existence. I tell, therefore you are.'


Im Original heißt das Buch "The Handmaid's Tale" (erstmals 1986 erschienen) - ein um einiges geglückterer Titel. Ich finde hier die Übersetzung etwas schroff und ich glaube nicht, dass ich das Buch in der deutschen Übersetzung überhaupt gelesen hätte. Für mich klingt "Der Report der Magd" wie einer dieser reisserischen, historisch angehauchten Romane in denen es dann vor allem um Sex geht. Anscheinend gibt es auch eine Verfilmung des Romans unter dem Titel "Die Geschichte der Dienerin", was ich persönlich eine viel bessere Übersetzung finde.


Handmaid's Tale, Artist: Erin Mcuire



Es wird die Geschichte von Offred (zu deutsch "Desfred") erzählt, die eine "Magd" (Handmaid) in der Republik von Gilead, einer streng religiösen Gemeinschaft, ist. Sie lebt bei einem Commander und seiner Frau und abgesehen von kleineren Hilfstätigkeiten im Haushalt, besteht ihre Hauptaufgabe darin, sich einmal im Monat auf den Rücken zu legen und zu hoffen, dass der Commander sie schwängert. Fruchtbare Frauen sind aufgrund diffus angedeuteten Katastrophen rar und diejenigen die Kinder bekommen können, haben eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft. Aber Offred erinnert sich an eine Zeit davor, als sie verliebt war und eine Familie hatte und vor allem einen eigenen Namen, einen eigenen Job und Zugang zu Wissen...

'There is more than one kind of freedom, said Aunt Lydia. Freedom to and freedom from. In the days of anrachy, it was freedom to. Now you are being given freedom from. Don't underrate it.'

Die erste Hälfte des Buches hat mir eigentlich gar nicht gefallen, bis mich die Geschichte dann plötzlich nicht mehr losgelassen hat und ich den restlichen Roman mit einem Knoten in der Magengegend fertig gelesen habe.
Es dauert schon eine Weile bis man sich zurecht findet, da man mitten in die Geschichte stolpert, die aus Offreds Perspektive erzählt wird und man sich jedes kleine Stück Information zu dieser Gesellschaft in Gilead in mühsamer Kleinarbeit erlesen muss. Das ansich war mir aber gar nicht so unsympathisch - ich finde es durchaus gut, wenn einem Bücher nicht gleich alle Information auf der ersten Seite präsentieren (oder noch schlimmer, sich mit mühsam konstruierten Dialogen behelfen um möglichst alles nicht voraussetzbare Hintergrundwissen in einer Seite abzuhandeln).
Aber ab dem Zeitpunkt wo sich dann langsam ein Ganzes aus den Puzzelteilen bildet und sich die vermutete Absurdität dieser Gilead Republik bestätigt, schüttelt man erstmal den Kopf und hat vielleicht auch Gedanken wie "Welche böse, männliche Laus ist den Margaret über sämtliche inneren Organe gelaufen, dass sie denkt, dass so etwas möglich wäre oder von irgendjemanden - männlich oder weiblich - mitgetragen werden würde." Die Gesellschaft die Atwood hier beschreibt ist totalitär und frauenfeindlich.  Alle Frauen sind in eine Art Kastensystem von Ehefrauen,"Tanten" (Erzieherinnen), "Marthas" (Haushaltshilfen) und eben Handmaids unterteilt. Diese Handmaids werden einer Familie zugeteilt, wo die Ehefrau nicht fähig ist ein Kind zu bekommen. Einmal im Monat sind dann beide Eheleute und Handmaid im Schlafzimmer und während die Ehefrau die 'Dienerin' festhält, schläft der Mann mit ihr. So soll verhindert werden, dass die Handmaid sexuell aufgeladen wird; sie ist lediglich ein Gefäß für das erhoffte Kind. Vor allem bei dieser Bettszene schien mir das Buch ins Absurde abzurutschen: Man konnte nicht erkennen, wer von diesem System Vorteile haben sollte - es erscheint für alle Beteiligten schrecklich.
Erst als dieses scheinbar perfekt funktionierende System Risse bekommt und Schlupflöcher sichtbar werden, werden auch durchaus die Vorteile für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung klar und es läuft einen beim Lesen eine kalter Schauer über den Rücken. Gewisse Gedankengänge und Mechanismen scheinen plötzlich gar nicht mehr so weit hergeholt und extrem, sondern um einiges näher als einem lieb ist; es geht weniger um Frauenfeindlichkeit als Entmenschlichung. Das Buch erinnert mich stark an Orwells "1984" - weniger Science Fiction, sondern mehr eine mögliche Alternative, wenn mehrere falsche Abzweigungen genommen werden und wir als Menschen nicht höllisch aufpassen. Es ist ein Roman für die es sich absolut lohnt etwaige Anfangsschwierigkeiten zu überwinden.


"The Handmaid's Tale - Official Trailer (1990)






Sonntag, 27. Oktober 2013

Mr. Penumbra's 24 Hour Bookstore von Robin Sloane



'When you search for "unbroken Spine" Google replies: Did you mean: unicorn sprinkle?'





"Mr. Penumbra's 24 Hour Bookstore"* war ein überraschend schönes Leseerlebnis. Ich habe mir das Buch eigentlich ohne großes Nachdenken oder irgendwelche Empfehlungen gekauft; ich wollte einfach eine leichte Lektüre für den Urlaub, mit nicht allzu vielen Seiten und nicht allzu dramatischen Inhalt. Und wie der Titel schon verrät, ist es ein Buch über Bücher (aber nicht nur) und wie viele LeserInnen habe ich dafür sowieso eine Schwäche.




Aufgrund der allgemeinen (schlechten) wirtschaftlichen Lage verliert Clay Jannon seinen Job als Web Designer und aufgrund seiner Fähigkeit ohne Probleme hohe Leitern rauf und runter zu klettern, ergattert er sich die Nachtschicht in Mr. Penumbras Buchladen. Der Laden ist aber anscheinend noch weitaus eigenartiger, als es der erste Blick sowieso schon vermuten lässt. Die wenigen regelmässigen Kunden scheinen nie etwas zu kaufen, sondern nur besonders obskure Bücher auszuleihen. Die ausgeliehenen Bücher sind alle in einem eigenartigen Code verschlüsselt und Clay wird neugierig. Er beginnt die verschiedenen Besucher und das Schema ihres Leseverhaltens zu analysieren und macht sich schließlich gemeinsam mit seinen Freunden auf, ein Abenteuer zu bestehen.

Robin Sloane bedient sich hier verschiedener schon bekannter Zutaten: der klassische magische Buchladen und eine Geheimgesellschaft wird hier mit moderner Technologie etwas aufgemischt.
Im Grunde geht es um die Frage "Was suchst du hier?" und Sloane gibt eine bekannte und schöne Antwort auf diese Frage. Ich kann dieses Buch jeder/jedem empfehlen, der nicht puristisch veranlagt ist, was die diversen Genres betrifft und etwas Seelenbalsam vertragen kann (und wer braucht das nicht hin und wieder?). Ich finde es würde sich auch wahnsinnig gut als Geschenk für jemanden eignen, der gerade etwas vom Leben gebeutelt ist und vielleicht wieder die eigenen Prioritäten gerade rücken muß. Hier wird das Brot sicher nicht neu erfunden, aber manchmal ist es gut bekanntes in einer Geschichte verpackt zu lesen, damit man nicht auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben
vergisst.


'There is no immortality that is not built on friendship and work done with care. All the secrets in the world worth knowing are hiding in plain sight.'






*Robin Sloan, Mr. Penumbra's 24 Hour Bookstore, 2013
....soweit ich weiß ist das Buch bisher leider nicht auf deutsch erschienen - falls ich mich irre, würde ich mich über eine Nachricht mit Berichtigung freuen :)



Freitag, 22. Februar 2013

Atemschaukel





Der Hungerengel sagte: Speichel macht die Suppe länger, und früh Schlafengehen macht den Hunger kürzer. 




Atemschaukel ist der erste Roman von Herta Müller, den ich gelesen habe, aber sicher nicht der letzte. 2009 erschienen, erhielt sie im selben Jahr den Nobelpreis für Literatur für das Werk. Daher kann man sich vorstellen, dass man von vielen Seiten nachlesen kann, wie überwältigend dieser Roman ist. Einer Meinung der ich mich nur anschliessen kann.








Der Ich - Erzähler Leopold Auberg wird 1945 von Rumänien in ein Arbeitslager in die Ukraine deportiert. Fünf Jahre wird Leo dortbleiben und vor allem aus Hunger bestehen. Es ist Lageralltag durch das Brennglas. Das eigentlich Unbeschreibliche wird in einer eindringlichen Sprache erzählt,  mit spitzen Sätzen und Poesie. Beim Lesen ist klar, dass man am Rand steht und von etwas Ahnung bekommt... eine Ahnung von Untiefen, die man eigentlich gar nicht so unbedingt kennen möchte, aber einmal erahnt, kann man sich nicht mehr entziehen. Man muss damit kämpfen und dem Text seine gesamte Ausmerksamkeit schenken und zwar unbedingt.

Manchmal kriegen die Dinge eine Zartheit, eine monströse, die man von ihnen nicht erwartet. 


Nachdem Rumänien 1944 vor der Roten Armee kaptulierte und dem bisher Verbündeten Deutschland den Krieg erklärte, verlangte die Sowetunion von Rumänien sämtliche Deutsche (Männer und Frauen) zwischen 17 und 45 Jahren zur Zwangsarbeit auszuliefern. Es handelte sich dabei um "Reparationsleistung in Menschenform" zum Wiederaufbau der kriegszerstörten Gebiete. Auch die Mutter von Herta Müller war fünf Jahre in einem Arbeitslager.
2001 begann Herta Müller Gespräche mit ehemaligen Deportietren aus ihrem Dorf ausfzuzeichnen. Mit dem Lyriker Oskar Pastior traf sie sich regelmässig und er erzählte ihr von seinen Erfahrungen im Lager. Es entstand der Plan das Buch gemeinsam zu schreiben, aber nach dem plötzlichen Tod von Pastior 2006, schrieb Herta Müller den Roman allein.




Herta Müller, Atemschaukel, 2009, Fischer Verlag, ISBN  978-3-596-18750-8
Umschlaggestaltung Gundula Hißman/ Andreas Heilmannn, Hamburg
Foto: Boris Schwesnikow © Internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge MEMORIAL, Moskau  



Sonntag, 13. Januar 2013

A Song Of Ice And Fire

A Song of Ice and Fire. Game of Thrones. Autor George R. R. Martin. HBO Serie. Bisher erschienen: Fünf Bände. Genre Fantasy. Lesen! Lesen! Lesen! Absolut grandios, episch, das Beste vom Besten...





Ich habe erst vor ein paar Tagen die letzten Kapitel des fünften (und bisher letzten) Bandes  der Fantasy Reihe "Game of Thrones" von George R. R. Martin gelesen. Warum ich das Buch nicht schon längst - das heißt gleich nach Erscheinungsdatum - in kürzester Zeit verschlungen habe, liegt daran, dass ich aufgrund der langen Pause zwischen vierten und fünften Band beim ersten Anlauf einmal nur verwirrt war. Dann das Buch frustriert auf die Seite gelegt habe. Dann in Ruhe noch einmal die ersten vier Bände* gelesen habe. Das war sowieso gut, weil ich "damals" so gierig durchgefegt bin, dass ich vieles nur sehr schlampig gelesen habe und ich mich eigentlich nur mehr an die Geschichten meiner Lieblingscharaktere erinnern konnte. Damit ist auch schon eine der wenigen Schwächen der Reihe erwähnt: Zu! Lange! Pausen!

Jedenfalls ist man, wenn man sich noch nicht auf die Reise durch diese fantastische Welt begeben hat, einerseits zu beneiden, andererseits auch zu bemitleiden. Martin ist ein gnadenloser Autor und das liegt nicht nur an der ungeschminkten Brutalität von gewissen Szenen. Er mag sich einfach nicht an irgendwelche vorgegebenen Konventionen und Ewartungen halten. Kurz nachdem ich die ersten zwei Bände gelesen hatte, war ich jeder Geschichte / jedem Autor gegenüber misstrauisch. Nicht noch einmal sollte mich da so ein Schreiberling unerwartet so link überraschen. Niemandem leichtfertig vertrauen!
Das Tolle an dieser Serie ist, dass man das Gefühl hat mitten in der Geschichte zu stehen, ohne die leiseste Idee zu haben, wie alles ausgehen wird. Der König stirbt und damit entsteht ein Machtvakuum und das Spiel um den Thron kann beginnen. Es gibt mehrere Häuser, die versuchen ihre Zukunft abzusichern und einige undurchsichtige Spieler im Untergrund. Man verfolgt auch "tote Pfade", also Schicksale, die eben nicht von Erfolg gekrönt sind und keine gewichtige Rolle im großen Spiel um die Macht haben. So wie es eben ist, wenn man mitten im Geschehen ist. Geschichte wird ja erst später geschrieben, wenn klar ist wer die Sieger sind. Dann wird entschieden was wichtig ist und was nicht, wer böse und wer gut ist. Und so ist es auch bei dem Meer an Fantasy Büchern. Man betrachtet als Leser die Geschehnisse aus der Vogelperspektive: Normalerweise hat man bei Geschichten dieser Art einen klaren Helden und man weiß, wer die moralisch zu verachtenden Feinde sind. Irgendeinmal dazwischen werden die Bösen die Oberhand haben, aber die Guten gewinnen am Ende. Der Held rettet, was auch immer zu retten ist. Martin macht es einem nicht so leicht. Es gibt hier wenig Schwarz -Weiß, aber sehr viele Grauschattierungen. Manche Charaktere hat man eben noch gehasst, um sie dann im nächsten Moment zu verstehen und ihnen die literarischen Daumen zu drücken, damit sie nicht in irgendeine Falle tappen.

Das einzige, was mir Sorgen macht und mich gleichzeitig wahnsinnig beeindruckt, ist die immer komplexere Welt, die hier entsteht. Ich habe keine Ahnung, wie Martin den Überblick bewahrt, nachdem im fünften Band noch ein paar (Neben-)Charaktere mehr ihren Platz einnehmen und da und dort noch ein Geschichtenstrang eingefügt wird. Durchaus nicht gezwungen, sondern alles geht in der bereits vorhandenen Geschichte auf, aber ich hoffe, dass diese Serie nicht einem nicht unbekannten Fantasy Schicksal zum Opfer fällt: der Autor findet zu keinem Schluss mehr à la "Rad der Zeit".
Das Spezielle ist außerdem noch, dass die Kapitel jeweils einem der Charaktere zugeordnet sind, also die Geschichte dann aus dem Blickpunkt dieser einen Person erzählt wird. Daher ist das ganze nicht streng chronologisch geordnet - manche Erzählstränge sind schneller, während andere wieder in einem anderen Band mehr zum Zug kommen, obwohl sie zeitgleich passieren. Das kann streckenweise ermüdend sein, wenn man nicht allen Irrungen & Wirrungen mit dem gleichen Enthusiasmus folgt beziehungsweise möchte man manche Charaktere einfach nur schütteln und beuteln, weil sie so gar nicht in die Gänge kommen.

Aber im Großen und Ganzen blase ich hier alle meine virtuellen Fanfaren, streue Konfetti und gebe Champagner aus - unbedingte Lesempfehlung, auch für Leute, die vielleicht sonst keine Fantasy Bücher mögen. Diese sind wirklich auf eine geniale Art anders. Drachen sind natürlich schon dabei.





P.S.: Ich habe die Bücher auf Englisch gelesen. Auf deutsch sind es keine fünf, sondern ganze zehn Bände. Ich kann also nicht sagen, wie "kurzweilig" das wird, aber vielleicht freut man sich auch, dass man so viel mehr zu lesen hat.

* Es gibt übrigens ein nettes Amazon Kindle Bücherpaket für die fünf Bände um € 28,76. Ist keine schlechte Sache, obwohl ich finde, dass die handfeste Version aufgrund der Länge der einzelnen Bände etwas leichter zu handhaben ist.

Montag, 3. Dezember 2012

Gruppenbild mit Dame

Wenn einem schon aufgrund der momentanen Lebenssituation so viele Ebenen des Smalltalks verwehrt bleiben, so möchte man zumindest hin und wieder mit überheblichem Gesicht die Bildungsbürgerin darstellen. Was gibt es schöneres als mit einem gekonnten Zitat das Gegenüber wieder in seine Schranken zu verweisen. Nicht nur Bildungsbürgerin. Auch Kleinbürgerin. Deswegen ein unerschrockener Griff in die Zauberkiste der deutschen Literatur und siehe da - etwas Wunderbares.



Meine Erfahrungen mit Heinrich Böll sind so gut wie nicht vorhanden. Das mag jetzt alle überraschen, die schon zu Schulzeiten sämtliche Böll Werke zumindest einmal in der Hand gehalten haben und sich  auch heute nicht weigern wieder mal eins in ihre physische Nähe zu lassen.
Ich habe keine Entschuldigung für meine Vernachlässigung und werde doch eine vorbringen: meine Deutschlehrerin. Lese- sowie unterrichtsfaul wurden wir von ihr irgendwann mit dem Film zum Buch beglückt und in meiner Erinnerung war das eine mehr als trockene Angelegenheit (auch hier wahrscheinlich ein Fehlurteil). Jedenfalls kam ich irgendwie nie auf die Idee Böll zu lesen.

Und dafür kann ich mich, nachdem ich "Gruppenbild mit Dame" gelesen habe, eigentlich nur ohrfeigen. In Wahrheit war es mehr ein Aufstampfen und der 182 Fluch Richtung Schulbildung. Aber meine Schuld. Ich hatte mehr als genug Zeit und Gelegenheit mein Versäumnis aufzuholen. Niemand zwingt einen stattdessen fünf mal hintereinander die Harry Potter Reihe zu lesen.



"... das Mädchen ist ein Phänomen. Man wußte nie so genau, ob sie sehr tief ist oder sehr flach - und es mag widersprüchlich klingen: ich glaube, sie ist beides, sehr tief und sehr flach, nur eins ist sie nicht und nie gewesen: ein Flittchen. Das nicht. Nein."

Gruppenbild mit Dame also - die Geschichte von Leni: Russenliebchen, Genie der Sinnlichkeit,  mit einer unverzichtbaren Vorliebe für frische Brötchen.  Dabei tritt sie selbst als Person nur einmal auf. Man lernt sie über die Menschen in ihrer Umgebung kennen, mit denen der "Verfasser" im Zuge seiner Leni-Recherche Gespräche führt. Dabei kann sich kaum jemand ("Verfasser" und Leserin eingeschlossen) ihrer Anziehungskraft entziehen. Und während man da Leni immer mehr lieben lernt, entsteht gleichzeitig ein Bild der deutschen Gesellschaft der kleinen Leute mit ihren Gaunern, Verbrechern und Unschuldigen während und nach dem zweiten Weltkrieg. Durch Bölls unaufgeregte Erzählweise werden die Schrecklichkeiten oft noch schrecklicher, aber er hilft seiner Leserschaft mit seinem trockenem Humor oft über die diversen Ungeheuerlichkeiten hinweg. Dabei ist nie etwas bemüht oder platt, sondern liebevoll und voller phantastischer Einfälle.
Als Beispiel für die unheimliche Dichte der Erzählung ist hier nur eine kleine Nebengeschichte von drei bis vier Seiten angeführt: Lenis Vater führt während des 2. Weltkriegs eine Scheinfirma, in der er angebliche russische Kriegsgefangene arbeiten lässt. Die russischen Namen hat er gekauft, völlig ahnungslos, dass ihm dabei Namen von russischen Autoren untergejubelt wurden. Aufgedeckt wird der Betrug schließlich von einem beim Finanzamt arbeitenden Philologen namens Scholsdorff, dessen Spezialgebiet die russische Literatur des 19. Jahrhunderts ist. Dieser Scholsdorff leidet wahnsinnig unter der Vorstellung, dass seine literarischen Helden zu einer solch unpassenden Arbeit gezwungen werden - er muss Nachforschungen anstellen. Dabei wird er wiederum entdeckt und wird so zum Hauptzeugen der Anklage gegen Lenis Vater. Diese grandiose Idee hat mich während dem Lesen zu einem (bei weitem nicht meinem einzigen) Freudentänzchen angestiftet.

Jedenfalls sollte man, wenn man wie ich bisher jede Gelegenheit Böll zu lesen arrogant in den Winde geschlagen hat, zumindest Gruppenbild (wie ich es inzwischen liebevoll nenne... so gut sind wir inzwischen miteinander) eine Chance geben.
Und in meinen mehr oder minder zahlreichen Gesprächen, werde ich sexuelle Begebenheiten ab jetzt nur mehr als Heidekrauterlebnisse bezeichnen. Klingt viel ansprechender als die meisten Vokabel, die einem die deutsche Sprache in diesem Fall zur Verfügung stellt. Genug Heidekrauterlebnisse für alle!